Manchmal stößt man auf ein Zitat, findet es nicht schlecht, versucht, es sich zu merken und, wenn man es dann braucht, weil man einen schönen Anlass gefunden hat, ist es weg. So hat es mich einige Zeit gekostet, es wieder zu finden, aber ich habe es:
In der Politik ist es manchmal wie in der Grammatik: Ein Fehler, den alle begehen, wird schließlich als Regel anerkannt.
André Malraux (1901-1976, französischer Schriftsteller, Abenteurer und Politiker)
Weil dieser Beitrag nicht in der Politik-Rubrik erschien, sondern bei öffentlichem Essen, handelt es sich beim Auslöser natürlich um Speisen und die Grammatik. Gerade die grammatikalischen, aber und vor allem auch die orthografischen Feinheiten, die auf Menükarten hiesiger "Essen"-Bringdienste dargeboten werden, haben ja schon einiges hier im Blog ausgelöst.
In der Musik gibt es jedes Mal zum Jahresende ein Problem: Woher nehmen wir all die Weihnachtsmusik, wie können wir den Leuten mit Weihnachtsmusik Geld aus der Tasche ziehen, wenn wir aber keine neuen Weihnachtstitel aufgenommen haben. Diese Branche hat es einfach gelöst: Man nehmen eine schöne, besinnliche Schnulze und mische da noch ein bißchen Glöckchengebimmel rein. Zahlreiche Beispiele belegen diese Aussage. Bei den aus dem Briefkasten geangelten Speiseangeboten Neubrandenburger "Essen"-Bringdienste ist es ähnlich. Man nehme das normale Standardlayout und verschlimmbessere es mit etwas Tannengrün, Kugeln und Glocken; auch Kerzen machen sich immer sehr schön.
So etwas zog ich unlängst aus dem Postkasten, freute mich noch, dass da keine Pizza "Rotkohl, Ente, Apfel, Kartoffelbrei" drauf zu finden war, aber, was ich sonst noch so fand, bleibt grenzwertig, wenn auch nicht ganz so schlimm wie beim momentanen Spitzenreiter, der aber wohl auch schon nicht mehr existiert.
Der oben genannte Fehler, der sich fast durch die gesamte Karte zieht, ist der Verzicht von Kommas bei Aufzählungen. Aber auch nicht so ganz: Bei den Pizzazutaten, den Nudelgerichten, Croques ("Inklusive eine Sauce Ihrer Wahl" - da fehlt entweder ein "r" oder ein Komma), Salaten und den Aufläufen fehlt das Komma, bei den Fleischgerichten ist es zwar da, es fehlt aber z. T. das Leerzeichen dahinter. Erstaunliche Regel: Stehen die Pizzazutaten hinter dem Namen in Klammern, gibt es doch Kommas, dafür fehlen dann aber die Leerzeichen zwischen Name und der "Klammer auf".
Ich gebe zu, das sind alles Kleinigkeiten, aber die Masse macht es. Bei der Pizza Meeresfrüchte sind übrigens Schrimps (Originalschreibweise), eine Muschel und ein Tintenfisch drauf. Außerdem wusste ich gar nicht, dass es Pfirsich- und Ananaskäse gibt. Seit dem Analogkäseskandal wissen wir, dass für die Käseherstellung nicht nur Milch vergoren werden muss, aber Ananas und Pfirsiche?
Warum achten eigentlich die Betreiber solcher "Essen"-Bringdienste nicht darauf, Speisen anzubieten, die einen Transport auch überstehen? Die Pizza ist ja leidlich transportfähig und kann länger warmgehalten werden, Aufläufe sind fast schon prädestiniert dafür. Pastagerichte werden schon kritischer, da muss das Nachgaren der Teigware in der heißen Soße gut kalkuliert werden, damit sie al dente beim Kunden ankommt. Aber warum werden immer noch Pommes frites angeboten? Oder Bratkartoffeln? Oder Widgets (Kartoffelspalten oder -ecken)? Alles das kommt definitiv nie so knusprig beim Esser an wie es sein sollte. Oder der Salat, der im gleichen Transportgefäß enthalten ist wie die warme dampfende Hauptspeise. Knackigkeit ist das letzte, was man hier erwarten kann.
An anderer Stelle hatte ich schon mal den Schutz von Standardbegriffen in der Küche gefordert. Sowas wie einen Markenschutz, der auch für Sauce Hollandaise, Bordeaux, Champagner, Münchner Weißwurst, Dresdner Christstollen, Nürnberger Lebkuchen, Lübecker Marzipan usw. gilt. Gyros sollte zum Beispiel immer vom Drehspieß kommen, "Pfannengyros" ist ja der Widerspruch in sich (außer, man dreht die Pfanne um die durch den Griff gebildete Achse über einem Mülleimer. Die Beispiele ließen sich, gerade auch in der Assietten aufwärmenden Gastronomie, beliebig fortsetzen.
Das "Wiener Schnitzel" ist so eine geschütztes Produktbezeichnung. Zusammengesetzte Schweinefleischfasern (Formfleisch?), durch eine Panade zusammengehalten, mit frittierten und mit Pommesgewürzsalz überstreuten Kartoffelscheiben (genannt "Bratkartoffeln") und einer kernreichen Zitronenscheibe serviert, bezeichnet man normalerweise nicht so, so dass der getestete "Essen"-Bringdienst aufpassen sollte, dass er da nicht irgendwann mal Ärger bekommt. Selbst die erlaubte Bezeichnung "Schnitzel Wiener Art" wäre eine Beleidigung für das Original, dass aus Kalbfleisch hergestellt werden muss und eine knusprige, blasig abgehobene Panade haben sollte und keine abriebfeste und leicht anfrittierte Paniermehlummantelung.
Aber immerhin wurde die gemischte Salatbeilage separat transportiert und war entsprechend knackig. Wenigstens ein Pluspunkt, würde es ja auch einen gewissen Aufwand erfordern, Eisbergsalat nicht so zu servieren. Das Grünzeug war augenscheinlich aber auch das einzige, was bei den getesteten Speisen nicht frittiert war.
Schade übrigens: Mein Lieblingsgericht ist seit einigen Jahren nicht mehr auf der Speisekarte, deswegen habe ich dort lange nichts mehr bestellt. Es war die 217. Ich werde auch erst wieder bestellen, wenn das Gericht, dass seinerzeit unter 217 angeboten wurde, wieder auftaucht.